Neue Weltordnung, Inflation und Marktgelegenheiten

Veröffentlicht am
28. November 2022
Lesezeit
3 Minuten Lesedauer

Der Krieg in der Ukraine, die Spannungen zwischen China und den USA oder aber die Distanz, die Saudi-Arabien gegenüber Washington an den Tag legt, zeichnen eine neue wirtschaftliche Weltordnung, die sich nicht mehr um die Amerikaner dreht, sondern eine strukturelle Inflation begünstigen könnte. All das ermöglicht die Entstehung neuer Anlagegelegenheiten, meint Frédéric Leroux, Mitglied des Strategic Investment Committee.

Was ist die bedeutendste Herausforderung, auf die sich Anleger in den kommenden Jahren einstellen müssen?

Frédéric Leroux: Die Inflation und ihre Schwankungen bleiben das beherrschende Thema der kommenden Jahre für unsere Wirtschaft, die Märkte und unsere Vermögen. Die hohe Wahrscheinlichkeit einer schwankenden, aber dauerhaften Inflation ist mit einer tiefgreifenden Umwälzung der Weltordnung verbunden, die von den Amerikanern nach 1945 um ein Finanzsystem aufgebaut wurde, das auf die USA ausgerichtet ist.

Die berühmte Pax Americana?

F. L.: Genau. In diesem System stellten die USA mit dem Dollar die internationale, frei konvertierbare Währung, die durch eine vorherrschende diplomatische, militärische und wirtschaftliche Stellung gerechtfertigt und garantiert wurde. Die Amerikaner kauften Produkte anderer Länder, die im Gegenzug akzeptierten, als Gegenleistung für einen sicheren und ausreichenden Ausgleich die Schulden der USA zu finanzieren.

Was wir beispielsweise jahrelang mit den Petro-Dollars beobachtet haben?

F. L.: Ja. Die Wiederverwertung der Petro-Dollars, also der Gelder, die aus dem Verkauf von Rohöl durch die Förderländer stammten, hat lange Zeit die Finanzierung der USA ermöglicht. Dieser Mechanismus hat das Ende der Konvertierbarkeit des Dollars in Gold im Jahr 1971 überlebt. Im Zuge des Beitritts Chinas zur Welthandelsorganisation (WTO) im Jahr 2001 hat er sich sogar noch ausgeweitet und verstärkt.

Wieso?

F. L.: So wie die Golfstaaten betrieb auch China die Wiederverwertung der Dollars aus seinen Handelsüberschüssen, indem es US-Schatzwechsel kaufte, sodass die USA der „verlässliche Konsument“ der Weltwirtschaft, der Weltpolizist und das Schutzschild Europas (NATO) bleiben konnten.

Sie sprechen von diesem System in der Vergangenheit ...

F. L.: Diese amerikalastige Weltordnung scheint in der Tat schnell zu zerfallen. Zunächst wurde den USA unter der Präsidentschaft Donald Trumps das Aufstreben eines für sie gefährlichen Konkurrenten bewusst: China. Dies veranlasste Washington, Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die die Lust des Reichs der Mitte dämpfen werden, weiterhin die USA zu finanzieren. Peking zieht es nämlich nunmehr vor, seine neue Seidenstraße zu entwickeln, die ihm andere Möglichkeiten des Handels und der Energiebeschaffung eröffnen wird.

In jüngster Zeit war auch eine Lockerung der Bande zwischen den USA und Saudi-Arabien zu beobachten ...

F. L.: Riad ist nicht mehr der treue Verbündete Washingtons. Saudi-Arabien führt nicht mehr jede von den Amerikanern geforderte Anpassung der Produktion aus, weil die sich nunmehr um eine wirtschaftliche und politische Neugewichtung unter den Mächten des Nahen Ostens bemühen, was sich mit der geringeren Abhängigkeit der USA von saudischem Rohöl erklären lässt. Doch es gibt noch weitere Hinweise auf die Auflösung dieser alten, um die USA konstruierten Weltordnung.

Welche?

F. L.: Der Krieg in der Ukraine ist durch die von ihm verursachte Verteuerung der Energiepreise eine große Belastung für die Finanzen der Länder Europas, aber auch Japans, die nun nicht mehr in der Lage sind, amerikanische Schuldtitel zu kaufen, da es ihre Handelsüberschüsse nicht mehr gibt. Vor allem haben letztendlich die gegen Russland verhängten Sanktionen – insbesondere die Beschlagnahmung seiner Vermögenswerte in US-Dollar und sein Ausschluss aus den wichtigsten internationalen Zahlungssystemen – den Status von Dollar und amerikanischen Schuldtiteln als sicherer Hafen erheblich lädiert. Was bedeutet denn eigentlich sicher, wenn der Hafen einem von heute auf morgen weggenommen werden kann?

Das wäre also das Ende der Pax Americana?

F. L.: Die mühelose Finanzierung der Defizite und der Schulden der USA geht vor unseren Augen zu Ende und mit ihr die Pax Americana, die seit 1945 auf der Welt herrschte. Die Zerstörung dieses Gleichgewichts, das die Entwicklung des Welthandels und eine Eindämmung der Preissteigerung ermöglicht hatte, führt zu einer wirtschaftlichen Abkapselung, die inflationär sein wird und kriegerische Initiativen fördern wird.

Bahnt sich also eine neue Wirtschaftsordnung an?

F. L.: Der vorhersehbare Verlust der wirtschaftlichen Effizienz in Verbindung mit demografischen Aspekten und neuen gesellschaftlichen, ebenfalls inflationären Trends, lässt uns geradewegs in eine neue wirtschaftliche Weltordnung eintreten, die eine tiefgreifende Transformation von Anlagestrategien erfordert, die sich in unseren Mischfonds bereits weitgehend vollzieht.

Kann man auf keine gute Nachricht hoffen?

F. L.: Doch, kurzfristig gibt es welche, nämlich dass erste deutliche Anzeichen einer künftigen Mäßigung im Ukraine-Krieg erkennbar werden und dass sich die Aussichten auf eine Beendigung der Null-Covid-Politik in China, die zu einer sehr ausgeprägten Wachstumsabschwächung beigetragen hat, konkretisieren. Diese beiden Eventualitäten hätten anfangs zwar auch inflationäre Auswirkungen, da sie die weltweite Nachfrage antreiben würden, aber sie dürften anschließend einen Rückgang der Energiepreise und einen reibungsloseren Warenfluss in den Lieferketten ermöglichen und auch den Konjunkturabschwung in den USA und Europa bremsen.

Welche Konsequenzen hat all das für Ihre Anlagestrategien?

F. L.: Die Rückkehr des Konjunkturzyklus (Expansion, Rezession oder Depression, Erholung) bewirkt ein Schwanken der Inflation, die für mehrere Quartale auf dem Rückzug zu sein scheint, was möglicherweise zu einer Neubewertung von Finanzanlagen führen kann.

Wie könnte sich das konkretisieren?

F. L.: Growth-Aktien, also Aktien von Unternehmen, deren Umsatz und Gewinn schneller wachsen als der Marktdurchschnitt, werden eine Erholung erleben. Diese Gelegenheit sollte man nutzen, um sich in Titeln der „alten Wirtschaft“ zu positionieren, die an der Börse allzu lange vernachlässigt wurden. Die Aktienmärkte dürften die seit einigen Wochen zu beobachtende taktische Erholung fortsetzen und dabei das Aufkommen einer neuen Performance-Hierarchie unter den Sektoren bestätigen.

Es könnte also ein gewisser Optimismus angesagt sein?

F. L.: Vorsicht, das bedeutet nicht, dass wir die Inflation hinter uns haben. Die oben beschriebene neue Weltordnung dürfte nämlich zu einer strukturellen Inflation beitragen. Die Schwankungen der Preise, die die Rückkehr des Konjunkturzyklus gewährleisten, den es zehn lange Jahre nicht gegeben hat, müssen als Chance verstanden werden, dass die aktive Verwaltung wieder in den Vordergrund tritt.

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