Januar 2020
Wenn man hilfreiche Überlegungen zu den Aussichten der Märkte anstellen will, ist es interessant, sich anzuschauen, wie sie dorthin gekommen sind, wo sie heute sind. Wie sah also diese Dynamik aus? Sie hat sich aus dem Zusammenspiel von drei treibenden Kräften ergeben: der wirtschaftlichen Realität, der Anlegerstimmung und der Schwankung der verfügbaren Liquidität.
Die wirtschaftliche Realität ist seit über zehn Jahren von einer insgesamt schwachen, aber positiven Dynamik gekennzeichnet. Die Weltwirtschaft hat eine Reihe von Zwischenzyklen durchgemacht (Aufschwung 2012-2013, Rückgang 2014-2015, erneuter Aufschwung 2016-2017 und Abschwung 2018-2019). Für 2020 stellt sich die entscheidende Frage, ob es wieder einen Mini-Aufschwung gibt oder ob sich die Abschwächung fortsetzt.
Die Stimmung der Anleger spiegelte sich in der Wahrnehmung dieser Mini-Zyklen wider. Aber sie war auch sensibel für politische Ungewissheiten, insbesondere für die feindselige Handelspolitik von Donald Trump und für die Gefahr eines harten Brexits. Für 2020 muss man sich somit die Frage stellen, was in den Anlegern den Wunsch wecken könnte, sich anders zu positionieren als heute.
Schließlich hat die Geldpolitik, wenngleich sie seit zehn Jahren strukturell akkommodierend ist, bei den Mini-Zyklen eine wichtige Rolle gespielt. Nach einer restriktiveren Politik im Jahr 2018, die Aussichten auf eine Rezession aufkommen ließ, war die Kapitulation der US-Notenbank Anfang 2019 ein bedeutender Faktor für den Aufschwung der Aktienmärkte. 2020 wird die Haltung der Zentralbanken – insbesondere die der amerikanischen – von entscheidender Bedeutung sein.
Berücksichtigen wir, wie sich die drei treibenden Kräfte entwickeln, gehen wir davon aus, dass die Märkte 2020 eher auf gutem Kurs sein werden. Es kann aber zu einigen Zwischenfällen kommen.
Das Bild, das sich aus den uns zu Beginn dieses Jahres zur Verfügung stehenden Konjunkturdaten ergibt, bestätigt, dass die beiden wichtigsten Lokomotiven des Weltwirtschaftswachstums weiterhin ächzen.
In China deuten die jüngsten Wirtschaftsindikatoren auf eine leichte Stabilisierung des Wachstums hin, was ausreicht, um Unternehmen zu motivieren, ihre Lagerbestände wieder aufzustocken. Das ist aber nicht genug, um insgesamt einen nachhaltigen Aufschwung einzuleiten. China hat sich entschieden, auf ein massives Konjunkturprogramm oder eine Geldpolitik im Stil der westlichen Welt zu verzichten. Die Explosion der privaten Schulden einzudämmen und die Kapitalflüsse zu stabilisieren, sind für Xi Jinping die strategischen Prioritäten bei der Ankurbelung des Wachstums.
Das Handelsabkommen mit den USA wird sich positiv auf diese Stabilisierung auswirken und dürfte zu einer starken chinesischen Währung führen. In China finden wir übrigens heute einen immer größeren Teil unserer Anlagegelegenheiten in Aktien.
In den USA festigt der starke Anstieg von Aktien immer noch die Stimmung der Amerikaner und stützt die wichtige Säule des Wachstums, den Konsum. Doch dieser punktuelle Reichtumseffekt ändert nichts am Wachstumspotenzial der amerikanischen Wirtschaft, das nach unserer Einschätzung mangels ausreichender Produktivitätssteigerungen nicht über 2% liegen dürfte. Ähnlich wie im Falle von China verdeutlichen die jüngst veröffentlichten Indikatoren die Schwäche in der Industrie und unterstreichen das Risiko, dass diese auf den Dienstleistungssektor übergreifen könnte, der sich bislang sehr gut behaupten konnte. Das Handelsabkommen mit China dürfte eine Stabilisierung ermöglichen, aber aus unserer Sicht sind wir noch weit von der Dynamik entfernt, die 2016-2017 eingesetzt hatte.
In Europa dürfte die Wirtschaft kurzzeitig von besagtem Aufschwung profitieren, aber gleichermaßen unter dessen Schwäche leiden. Diese Aussichten veranlassen uns dazu, Growth-Aktien mit hoher Transparenz weiterhin überzugewichten.
Abgesehen von den erneuten Ungewissheiten im Nahen Osten, die einem Kalkül der Trump-Regierung geschuldet sind, das bei Weitem nicht ohne Risiken ist, könnte die politische Agenda 2020 die Anleger mehrfach aus der Bahn werfen: knapper Terminplan für die Aushandlung eines Handelsabkommens zwischen Großbritannien und der Europäischen Union, zweite Runde der Verhandlungen zwischen China und den USA und – ein bedeutender Faktor für die Märkte – die Präsidentschaftswahl in den USA.
Wir gehen davon aus, dass ein geschicktes Management des Exposures gegenüber den Marktrisiken beim Generieren von Performance eine bedeutendere Rolle spielen wird als 2019.
Neben der Wiederaufnahme des Anleihenkaufprogramms durch die EZB muss man das Ausmaß des erneuten ungewöhnlichen Aktivismus der Fed im Jahr 2019 zur Kenntnis nehmen. Seit September vergangenen Jahres hat die Fed über 400 Milliarden US-Dollar in das amerikanische Finanzsystem gepumpt. Die Fortsetzung oder Einstellung dieser enormen Liquiditätsspritzen ist einer der entscheidenden Faktoren für die Zukunft der Märkte im Jahr 2020.
Vor diesem Hintergrund sind die Schlussfolgerungen, die aus der von der Fed eingeleiteten Überprüfung ihrer Geldpolitik gezogen werden, von äußerst großer Bedeutung. Die Fed ist gewiss nicht erpicht darauf, auf ihren Anspruch auf Unabhängigkeit zu verzichten, indem sie die Schulden der Trump-Regierung finanziert. Doch in den vergangenen zwei Jahren hat sich bestätigt, dass es der Fed technisch nicht möglich ist, ihre Unterstützung für die Märkte zurückzufahren, ohne dabei heftige Turbulenzen auszulösen. Zudem sind die Inflationserwartungen weiter unter Kontrolle und lassen der Fed immer noch einen großzügigen Handlungsspielraum. Das mittlerweile prekäre Gleichgewicht zwischen aktiver Unterstützung und dem Wunsch, sich dem Vorwurf des moralischen Risikos zu entziehen, dürfte im Jahr 2020 eine der drängendsten Herausforderungen sein, für die der US-Dollar womöglich die Zeche zahlen muss. Unsere Berücksichtigung dieses Risikos zeigt sich seit einigen Monaten erstmals in der Absicherung des Währungsrisikos unserer Anlagen gegenüber dem Dollar.
Wir kommen zu dem Schluss, dass die Interaktion der drei wichtigsten Motoren des Marktes für 2020 eine Alternative erkennen lässt, die wesentlich weniger binär ist als in den vergangenen beiden Jahren. Die Märkte sind noch im Rausch der Jahresenddynamik und somit zunehmend verwundbar für politische bzw. geldpolitische Fehler. Insofern glauben wir, dass im Gegensatz zu 2019 in diesem Jahr weniger eine trendorientierte als vielmehr eine wirklich aktive Verwaltung gefragt ist.
Quelle: Carmignac, Bloomberg, 31/12/2019