März 2018
Seit die Zentralbanken der Industrieländer in den ersten Tagen des Jahres 2009 begannen, sich Hals über Kopf in extrem akkommodierende Geldpolitiken zu stürzen, steht die Frage im Raum, wie diese Geschichte zu Ende geht. Würden Wachstum und Inflation zurückgehen, käme dies einem schmerzlichen Scheitern dieser Politik gleich. Das Ergbenis wäre eine verheerende Vertrauenskrise für die Märkte. Diese Option ist heute vom Tisch. In den vergangenen Jahren stützten sich die Märkte auf Wachstums- und Inflationsniveaus, die zwar nicht mehr im Gefahrenbereich liegen, aber immer noch zu niedrig sind, um eine unendliche Fortsetzung der äußerst lockeren Geldpolitiken zu rechtfertigen. Dies war bekanntermaßen zum Vorteil für alle Anlageklassen. 2018 hat mit einer a priori Auflösung dieser Entwicklung begonnen, indem das Wachstum und die Inflation deutlich anzogen. Damit ist der Erfolg des jahrelangen geldpolitischen Voluntarismus besiegelt und kommt zum Ende. Daraus ergibt sich jedoch eine unausweichliche Phase der Instabilität an den Märkten, die mit der schwierigen Frage konfrontiert sind, wie die neue Lage zu deuten ist und wie sie sich auf alle Anlageklassen auswirkt.
2009 hat das geldpolitische Neuland zu den irrtümlichsten Annahmen geführt, wie sich dies auf die Finanzmärkte auswirken dürfte. Die Aussicht auf eine unkonventionelle Geldschöpfung hatte viele Ökonomen einen bedeutenden Anstieg des Inflationsdrucks befürchten lassen, der die Anleihemärkte unter Druck setzen würde. Gleichzeitig ging man davon aus, dass die Aktienmärkte in einem Umfeld dauerhaft gedämpften Wachstums kaum noch steigen könnten. Wie man heute weiß, kam alles ganz anders. Die Aktien- und Anleihenmärkte erlebten allesamt eine beispiellose Hausse-Phase. Auf historisch paradoxe Weise haben die Zentralbanken durch ihr mehrjähriges Scheitern bei der Ankurbelung von Wirtschaft und Inflation während dieses gesamten Zeitraums anhaltende Unterstützung für Anleger in Form von großzügiger Liquidität garantiert. Hierdurch haben sie die Anleger dazu angeregt, höhere Risiken einzugehen, um in einem Umfeld, in dem die Zinsen bewusst immer weiter gesenkt wurden, ein Minimum an Rendite mitzunehmen. Nun die Konsequenzen eines Ausstiegs aus dieser Gangart vorherzusehen ist ebenso heikel wie 2009, weil es erneut keinen Präzedenzfall gibt.
Bei den Gewinnen pro Aktie wird für 2018 mit einem Anstieg von 18,4% in den USA und von 7,5% in der Eurozone gerechnet.
In den USA weckt die Ende des letzten Jahres verabschiedete Steuerreform Hoffnungen auf Wirtschaftswachstum. Die Wachstumsprognosen liegen für 2018 derzeit im Durchschnitt bei etwa 3% bei einer Inflation von über 2%. Für die Eurozone wird mit einem Wirtschaftswachstum von rund 2,5% gerechnet, auch wenn man für das Jahr nicht von einer Inflation von über 1,5% ausgeht. Dank dieses nach wie vor günstigen Umfelds wurden die Prognosen für das Wachstum der Unternehmensgewinne für 2018 zu Jahresbeginn weiter angehoben (auf nunmehr +18,4% für die USA und +7,5% für die Eurozone). Diese relative Dynamik erklärt, warum die US-Aktienmärkte, insbesondere der Technologiesektor, zunächst ihren Aufwärtstrend trotz des mittlerweile spürbaren Drucks auf die Zinsen weiter fortgesetzt und dabei die europäischen Märkte weiter hinter sich gelassen haben. Doch diese Entwicklung stößt kurz- und mittelfristig auf zwei verschiedenen Herausforderungen.
Die Renditen amerikanischer, japanischer und deutscher Staatsanleihen wurden in den geldpolitischen Interventions-Jahren gedrückt. Mittlerweile bewegen sie sich wieder in Richtung der realen Marktpreise und das ist eine heikle Phase. Diese Anpassung wird nicht gemächlich und ruhig ablaufen, da die Märkte bei ihrer Interpretation der Wirtschaftsdynamik, des Wiederaufkeimens der Inflation und der Reaktion der Zentralbanken auf Sicht fahren. Aus der Analyse der amerikanischen Steuerreform geht hervor, dass sie den Finanzierungsbedarf des US-Finanzministeriums aushöhlen wird. Das geschieht zu einem Zeitpunkt, in dem die Fed anfängt, ihre Beiträge zur verfügbaren Liquidität zurückzunehmen und den Bestand von Staatsanleihen in ihrem Portfolio zu reduzieren.
Zu den bedeutendsten Herausforderungen der kommenden Monate gehört somit, den Nettoeffekt zu quantifizieren, der sich aus dem neuen Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage auf die Renditen von Staatsanleihen ergibt. Für die Aktienmärkte bedeutet das mehr Instabilität, denn ihr Ausblick wird durch neue Inflationsängste aus den USA getrübt sein. Diese ergeben sich durch ungünstige Basiseffekte, gute Zahlen bei den Löhnen, Wiederaufkommen protektionistischer Bestrebungen der Trump-Regierung und der anhaltenden politischen Ungewissheit in Italien und Deutschland. Zu guter Letzt wird das Volumen des Vermögens, das mittlerweile passiv und algorithmisch verwaltet wird, das Ausmaß der erratischen Ausschläge der Märkte noch verstärken.
Die seit zehn Jahren kumulierten Ungleichgewichte werfen Fragen auf, wie die Anpassung erfolgt.
Die seit zehn Jahren kumulierten Ungleichgewichte werfen Fragen auf, wie die Anpassung erfolgt. Das Verschuldungsniveau der Staatshaushalte und auch der Privathaushalte, denen die weltweit niedrigen Zinsen zugute kamen ist heute höher als kurz nach der großen Finanzkrise im Jahr 2008. Es liegt beispielsweise bei rund 250% des BIP für die gesamte amerikanische Volkswirtschaft und bei 200% für Japan. In der Eurozone lag die Verschuldung der öffentlichen Hand 2009 bei 72,8%, heute sind es 83,2%. Zurzeit hat die Erwartung hinsichtlich einer höheren Inflation, die den Wirtschaftsaufschwung begleitet, den Vorteil, die realen Kosten der Schulden zu mindern. Dies verstärkt die Attraktivität der Aktienmärkte als Bollwerk gegen das Wegschmelzen des Geldes.
Unter diesem Gesichtspunkt besteht das Hauptrisiko in der Reaktion der Zentralbanken, insbesondere der Fed, falls sie ihre Geldpolitik übermäßig straffen sollten. Die Märkte setzen im Moment darauf, dass die Zentralbanken weise genug sind, um die realen Zinsen unter Inkaufnahme eines möglichen Hinterherhinkens hinter dem Anstieg der Inflation niedrig oder sogar im negativen Bereich zu belassen, damit bei Anleihen das „Kartenhaus“ nicht zusammenfällt. Diese Wette erscheint rational. Doch die Beendigung oder sogar die Umkehr der Anleihenkaufprogramme seitens der Zentralbanken ist geplant. Und niemand kann wirklich sagen, wo sich der Gleichgewichtspreis für langlaufende Staatsanleihen einpendeln wird: Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Inflationsgefahr anhalten sollte, da schließlich die Nachfrage privater Anleger an die Stelle jener der Zentralbanken treten muss. Dieses Risiko rechtfertigt die Beibehaltung einer äußerst aktiven Verwaltung der modifizierten Duration.
Der amerikanische Konjunkturzyklus ist bereits sehr weit vorangeschritten: Trotz der Steuerreform deuten die wirtschaftlichen Frühindikatoren auf eine mögliche Abschwächung des Zyklus bis zum Jahresende hin. In China fielen die Indikatoren für die Industrietätigkeit (Einkaufsmanagerindex für den Februar) enttäuschend aus. In der Eurozone gaben die Wirtschaftsindikatoren (Verbrauchervertrauen, Einkaufsmanagerindex) zum ersten Mal seit 2016 leicht nach. In Großbritannien hat sich die Konjunkturabschwächung bereits eingestellt. Demzufolge ist das Szenario einer schwächeren Wirtschaft, insbesondere wenn die Marktturbulenzen das allgemeine Vertrauen noch weiter erschüttern sollten, vielleicht eines, das die Märkte heute nicht außer Acht lassen sollten. Es würde das Risiko einer markanteren Korrektur am Anleihemarkt begrenzen, aber die sektoriellen Unterschiede am Aktienmarkt erheblich polarisieren. Wir kämen wieder in ein Umfeld, in dem Wachstum rar ist und in dem zyklische und verschuldete Werte erneut zu kämpfen hätten. Wachstumswerte mit soliden Bilanzen und hoher Transparenz, die auf dem amerikanischen Markt überrepräsentiert sind, würden hingegen deutlich besser abschneiden.
Eine leistungsfähige Anlagestrategie wird sich nunmehr auf andere Ansätze stützen müssen als die, die in den vergangenen Jahren gute Dienste geleistet haben. Es wird daher von entscheidender Bedeutung sein, mit der aufkommenden Instabilität der Märkte umgehen zu können und Portfolios für die Umstellung auf eine neue Gangart entsprechend neu auszurichten.
Quelle: Bloomberg, 03.03.2018